Das Studentenwerk Schleswig-Holstein kümmert sich in vielerlei Hinsicht um seine Schützlinge. Allem voran betreibt es Mensen und Heime, um Studentinnen und Studenten Angebote für bezahlbares Essen und Wohnraum zu machen. Finanzielle Unterstützung und kulturelle Angebote gehören ebenfalls zum Portfolio der Anstalt öffentlichen Rechts, die sich als Dienstleister der Studierenden sieht. Um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Studium zu ermöglichen, betreibt das Studentenwerk Schleswig-Holstein zudem vier Kindertagesstätten in Kiel – eine davon befindet sich in der Grenzstraße am Campus der Fachhochschule.
Seit dem 15. Oktober 2024 leitet Wiebke Tillmann die Einrichtung. „Ich bin noch sehr frisch hier, aber sehr zufrieden – mit meinem Team und den Umständen, unter denen wir hier arbeiten können“, sagt die junge Frau und lacht. Noch neu in der Leitungsfunktion und in der Grenzstraße ist Tillmann dem Studentenwerk Schleswig-Holstein allerdings schon sehr lange verbunden. Mehr als zehn Jahre war sie bereits in der Kindertageseinrichtung des Studentenwerks im Niemannsweg tätig. Dabei wollte Tillmann beruflich eigentlich einen anderen Weg einschlagen.
Langer Weg zur Leitung
„Ich hatte nach der Schule eigentlich nicht vor, etwas mit Kindern zu machen“, erinnert sich die 35-Jährige an ihre beruflichen Wurzeln. „Im Gegenteil“, lacht sie, „damals fand ich Kinder eher nervig.“ Doch Wiebke Tillmann war spät dran mit der Planung ihres Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ), und so landete sie schließlich unverhofft in einem Kindergarten. Schnell merkte die junge Frau jedoch, dass sie mit einem Vorurteil eingestiegen war. „Die Arbeit hat mir richtig viel Spaß gemacht, und der Umgang mit Kindern war eine Tätigkeit, die mir leicht fiel. Ich konnte viel Positives bewirken, ohne dass ich mich wie in der Schule anstrengen musste.“ Dennoch spürte Tillmann nach ihrem FSJ erst anderen Interessen und Leidenschaften hinterher: Ausbildungen als Fotodesignerin und Diätassistentin. Doch als die Berufspraxis ihr nicht die erhoffte Erfüllung bot, zog es sie zu den Kindern zurück. „Ich habe immer wieder an die Leichtigkeit zurückdenken müssen, die ich während meines FSJ erfahren habe. So habe ich dann am Regionalen Bildungszentrum am Königsweg meine Ausbildung zur Erzieherin begonnen und abgeschlossen.“
Ihren Einstieg nahm Tillmann im Jahr 2014 in einer städtischen Kindertageseinrichtung in Kiel-Mettenhof. „Ich hatte damals die Wahl und hätte auch woanders hingehen können – aber ich wollte die Arbeit in einen sozialen Brennpunkt kennenlernen“, erinnert sich Tillmann an ihren Berufseinstieg zurück. Schließlich stellte sie jedoch fest, dass das sogenannte ‚offene Konzept‘, das in allen städtischen Einrichtungen verfolgt wird, nicht zu ihr passte. Dabei gehen die Kinder nicht in einer Gruppe durch den Tag, sondern suchen sich aus mehreren Funktionsräumen selbst das zu ihnen passende Angebot heraus. In der Folge betreut das Personal dann nicht bestimmte Gruppen, in denen Kinder gemeinsam groß werden, sondern die Kinder, die gerade in den Räumen aktiv sind.
So wechselte Wiebke Tillmann 2016 in eine der damals noch fünf Kieler Einrichtungen des Studentenwerks Schleswig-Holstein, die – wie alle Einrichtungen dieses Trägers – den ‚Situationsansatz‘ verfolgt. „Bei diesem Konzept werden die Kinder aktiv in die Planung des Tages einbezogen, sodass sie das lernen können, was sie zu diesem Zeitpunkt interessiert“, erklärt Tillmann. In der Einrichtung im Niemannsweg fühlte sich Tillmann wohl. Doch der schlechte Zustand der Bausubstanz stand einem langfristigen Engagement in Kiel-Düsternbrook entgegen: Im Herbst 2021 musste das Studentenwerk aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Entscheidung treffen, die Kindertagesstätte zum 31. Juli 2024 zu schließen.
Wiebke Tillmann begriff den Umbruch als Chance und wollte ihn nutzen, um sich beruflich weiterzuentwickeln. „Ich hatte nach zehn Jahren als Erzieherin Lust auf Veränderung. Als dann in der Grenzstraße ein Leitungswechsel anstand, habe ich dem Studentenwerk mein Interesse signalisiert.“ Das Engagement wurde belohnt: Der Träger unterstützte Tillmann sogar bei der anderthalb Jahre dauernden Weiterbildung zur staatlich anerkannten Sozialfachwirtin, durch die sie sich die für die neue Rolle notwendigen Kompetenzen aneignete.
Ein exklusives Angebot
Die Einrichtung in der Grenzstraße ist eine Krippe, ein frühkindliches Betreuungsangebot für Kinder im Alter zwischen acht Monaten und drei Jahren. Ausgelegt auf die Betreuung von bis zu zehn Kindern, gehört Tillmanns Einrichtung zu den kleineren in der Landeshauptstadt. Eine weitere Besonderheit ihres Hauses ist – wie bei allen Betreuungseinrichtungen des Studentenwerks – das Klientel. „In erster Linie sind wir für Studentinnen und Studenten mit Kindern da“, erklärt Tillmann. Diese Gruppe hat Vorrang vor allen anderen, die sonst bei der Platzvergabe Priorität genießen, etwa berufstätige oder alleinerziehende Eltern.
Tatsächlich stellen viele Eltern auf der Suche nach einem Betreuungsplatz bald fest, dass ein gesetzlich verbriefter Betreuungsplatz zwar grundsätzlich eine Errungenschaft des Sozialstaats ist, die – im besten Fall konzeptionell passenden – Betreuungsmöglichkeiten im Wohn- und Arbeitsumfeld allerdings häufig rar gesät sind. „Um den Studierenden unter die Arme zu greifen und sie dabei zu unterstützen, nach der Geburt eines Kindes möglichst schnell wieder in das Studium einsteigen zu können, bieten wir ihnen bevorzugt Plätze an“, erklärt Wiebke Tillmann das wesentliche Alleinstellungsmerkmal ihres Hauses.
Allerdings ist die Einrichtung in der Grenzstraße auch offen für Kinder, deren Eltern nicht an der Fachhochschule, der Universität oder der Muthesius Kunsthochschule studieren. Tatsächlich ist das Angebot gegenwärtig größer als der Bedarf in der Zielgruppe – neben den Kindern von Studentinnen und Studenten betreut das Team um Tillmann auch Kinder von Eltern, die im Stadtteil leben und arbeiten und keine Verbindung zu einer Hochschule haben. Doch das bedeutet nicht notwendigerweise, dass es nicht viele Studierende mit einem Betreuungsbedarf gäbe.
„Nach wie vor ist die Nähe zum Wohnort ein wichtigeres Kriterium für die Auswahl einer Einrichtung, als die Nähe zur Arbeitsstelle – oder eben der Hochschule“, weiß Tillmann. „Insbesondere, wenn Studierende nicht in unmittelbarer Nähe oder überhaupt auf dem Ostufer wohnen, entscheiden sie sich häufig eher für die Betreuungsangebote des Studentenwerks auf dem Westufer.“ Das sind die Kindertagesstätte für Studentenkinder in der Olshausenstraße, die Kindertagesstätte im Wissenschaftspark und die Campus-Krippe am Westring.
Innere Werte zählen
Wohl viele haben das unscheinbare Haus in der Grenzstraße auf Höhe der Schwentine Mensa sicher bereits passiert, ohne ihm viel Beachtung zu schenken – geschweige denn sich im Vorübergehen die Frage zu stellen, wie sich hier wohl Kinder betreuen lassen. „Wir können unsere Arbeit hier sehr gut machen“, sagt Wiebke Tillmann, angesprochen auf die Rahmenbedingungen. „Zum einen habe ich ein tolles Team, zum anderen viele Möglichkeiten.“
Neben Tillmann, die neben Leitungsaufgaben auch betreuerische übernimmt, sind eine Sozialpädagogische Assistentin (SPA) in Vollzeit sowie zwei Erzieherinnen in Teilzeit in der Einrichtung in der Betreuungsarbeit tätig. Das Team wird unterstützt von einer sogenannten Helfenden Hand, die pädagogische Fachkräfte entlasten soll, sowie einer Kraft, die gerade ihr FSJ in der Grenzstraße absolviert. Zudem ist eine Hauswirtschafterin, die täglich frische Mittagsmahlzeiten für die Kinder zubereitet, in der Einrichtung tätig.
Auch hinsichtlich der räumlichen Situation sieht Tilmann keinen Grund zur Klage. An einen Gruppenraum mit Fenstern zur Grenzstraße grenzt ein Raum, der als Bewegungsraum genutzt wird; etwas abgelegen der Schlafraum, in dem die Kinder sich für ihre Mittagsstunde hinlegen können. Hinzu kommen ein kleiner Waschraum, ein Wickelraum, eine Garderobe, in der Kinder ankommen und sich für Ausflüge fertigmachen, sowie die Küche.
Verwurzelt in Dietrichsdorf
All das in einem Haus, das nicht als Kindertageseinrichtung geplant und gebaut wurde. Stattdessen hat man beim Überschreiten der Schwelle eher das Gefühl, in ein großes Wohnhaus einzutreten. Beim Gang über den Flur entsteht der Eindruck, dass hier im Nachhinein viel ‚passend gemacht’ wurde und dieser pragmatische Ansatz strahlt einen besonderen Charme aus. „Es ist sehr angenehm für uns, dass wir hier ganz wir sein können“, freut sich Tillmann. „Wir sind allein im Haus und müssen auf niemanden Rücksicht nehmen. Das ist in der Arbeit mit kleinen Kindern sehr viel wert. Und wir haben sogar ein Außengelände“, ergänzt die Leiterin und verweist auf einen von der Straße aus uneinsehbaren Garten auf der Rückseite des Gebäudes.
Angesprochen auf die Lage an der Grenzstraße, wo in Stoßzeiten dutzende Schwerlaster in der Stunde zum Seehafen hinabrollen oder von dort ihre Fracht die Straße hinauf schleppen, lacht die junge Frau. „Für die Kinder ist der Verkehr unglaublich interessant. Durch die Fenster zur Straße gibt es immer was zu sehen – wenn mal die Polizei vorbeifährt oder die Müllabfuhr kommt, interessiert das die Kinder brennend und sie schauen fasziniert zu. Das ist ganz viel Eindrückliches aus ihrer Lebenswelt, über das wir mit den Kindern sprechen und aus dem wir andere Themen ableiten können. Kinder haben einen ganz anderen Blick auf die Welt als wir.“
Auch die Entfernung zum Ortskern des Stadtteils Dietrichsdorf sieht Tillmann nicht als einen Nachteil an. „Auch, wenn es niedlich aussehen mag, ist es nicht unbedingt im Sinne kleiner Kinder, in einem Wagen über einen Wochenmarkt gezogen zu werden“, sagt Tillmann. „Wenn wir Ausflüge mit den Kindern unternehmen – und das ist auch bei einer kleinen Gruppe immer eine logistische Herausforderung – dann bemühen wir uns meist um naturnahe Unternehmungen, um Aktivitäten, die die Kinder bereichern. Wir spazieren entlang der Schwentine oder sammeln auf dem Campus Kastanien. Und wenn die Kinder dann hier im Anschluss stolz ihre kleinen Eimer auskippen, steht am nächsten Tag herbstliche Bastelei auf dem Programm.“
Raum zum Wachsen
Durch ihre Berufserfahrung kennt Wiebke Tillmann Ost- und Westufer von Kiel, Arbeit im sozialen Brennpunkt wie im Villenviertel. So groß die Unterschiede sind, bringt alles eigene Herausforderungen mit sich. Mal ist es eine zu große Zurückhaltung der Eltern, die ihre Kinder bei Krankheit nicht abmelden, mal das andere Extrem, wenn sie das Personal bitten, darauf zu achten, dass die teuren Markenschuhe nicht verdrecken. „Wir haben hier eine sehr heterogene Gruppe, und vor allem die pädagogische Arbeit macht mir und dem Team viel Spaß“, zieht Tillmann eine erste Bilanz.
Vor Wiebke Tillmann liegt eine spannende Zeit, in der sie in ihre neuen administrativen und organisatorischen Aufgaben hineinwachsen will, ein Weg, der sich erst beim Gehen konkret abzeichnet. Doch gleichsam ist sie sehr froh darüber, nicht ‚nur' Leitung zu sein, sondern auch weiter mit den Kindern arbeiten zu können, denn so bringt jeder Tag neue Überraschungen. Besonders schätzt sie dabei die Freiheit, den gestalterischen Spielraum, ihrer Tätigkeit: „Wir lassen uns jeden Tag ein wenig überraschen und entscheiden dann, was wir unternehmen. Gemeinsam mit Kindern die Welt aus neuen Perspektiven zu entdecken, empfinde ich als eine bereichernde und sinnvolle Aufgabe.“

