Eröffnungsrede
Eröffnungsrede zu Wolfgang Meyer-Hesemanns Ausstellung "Die Innenausstattung der Macht"
Von Uwe Haupenthal
Uwe Haupenthal
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Wolfgang Meyer-Hesemann. Die Innenausstattung der
Macht“. Eine biografische Inszenierung. 1998 bis 2009. Meine Jahre als Staatssekretär“, Kiel,
Bunker D, 30. Juni 2016
Die Ausstellungsräume im sog. „Bunker D“ der Kieler Fachhochschule bieten Wolfgang
Meyer-Hesemann weit mehr als nur eine willkommene Kulisse für seine Installation „Die
Innenausstattung der Macht“. Der Ort ist unabdingbar Teil der Ausstellungskonzeption.
Was wurde vorgegeben? Eine ebenso wehrhaft wie brutal anmutende Architektur aus der Zeit
des Zweiten Weltkrieges, mit Wunden und Narben übersäht und mit nachträglich
gebrochenen Fenstern. Ansonsten wurde jedoch nach Möglichkeit alles historisch belassen.
Das Ambiente weniger kalt als abweisend, mit baulichen Strukturen aus mehr als sieben
Jahrzehnten. Starke Räume also, die ein vielfach belastetes, gleichwohl optisch aufregendes
Eigenleben führen, das freilich noch einmal wirklich auffällig wird und an auratischer Präsenz
gewinnt, wenn etwas Eigenes, Fremdes, Kontrapunktisches entgegengesetzt wird. Und das
leistet Wolfgang Meyer-Hesemann mit seiner optisch sparsamen, gleichwohl konzeptuell
geschlossen wirkenden Installation aus Fotografien, Objekten und einer Videopräsentation.
Eine historisch so sehr belastete Kriegsarchitektur und darin die Präsentation von Relikten aus
der eigenen Arbeitsbiografie als Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-
Holstein zwischen 1998 und 2009? Es ist dies ein Zusammentreffen von Positionen, die sich
von vorn herein gegenseitig ausschließen und dennoch eine nachhaltige Potenzierung
bedingen. Man stelle sich nur für einen Augenblick die Präsentation in einem neutralen,
ästhetisch womöglich gar ansprechenden und interessanten Ausstellungsraum vor. Der
sprichwörtliche Funke würde wohl kaum auf den Besucher überspringen, und eine
Initialzündung gäbe es wahrscheinlich schlichtweg nicht. Im Umkehrschluss schwingt eben
etwas Unausgesprochenes mit: die Vorstellung von politisch begründeter Verwaltung, von
Einfluss und Macht. Und zwar von persönlich erlebter, wenn auch vergangener und historisch
abgeschlossener Macht, auf die Meyer-Hesemann nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als
Staatssekretär mit gebotenem zeitlichem Abstand nun selbst wie ein Fremder zu blicken
scheint. Und diese Inszenierung ereignet sich vor geradezu feindlich anmutender Kulisse.
Einmal mehr wird der kritisch-reflektierende Blick geschärft, und zwar in doppelter Hinsicht:
nämlich mit Blickauf das, was zu sehen ist und wie es präsentiert wird.
Es sind persönliche und offizielle Erinnerungsstücke, die in eine strenge Ordnung gebracht
wurden und mit denen wir nun konfrontiert werden. Dabei kam es keinesfalls auf eine
beliebige Anhäufung von Relikten oder gar von Devotionalien an, sondern vielmehr auf eine
gezielt vorgetragene Auswahl weniger exemplarischer Stücke oder besser noch: Objekt-
Typen. So finden sich an den Stirnseiten der beiden Ausstellungsräume große Fotos der
Brillen, die Meyer-Hesemann getragen hat. Dazwischen jeweils das Geweih eines Rotwildes,
eines Rehbocks. Irritierende Momente sicherlich, - hochspekulativ und eine persiflierende
Kettenreaktion mit Blick auf die berühmte „Platzhirsch-Lyrik“ auslösend. Als
Verbindungsstücke zwischen den Stirnseiten umlaufend gehängte Fotografien von Schuhen,
die Meyer-Hesemann in der Ausübung seines Amtes getragen hat, paarweise in gleicher
Richtung aufgereiht, so dass sich eine beliebig fortsetzbar erscheinende Reihung ergibt. Im
benachbarten Raum die gleiche Bildordnung mit dem Motiv wertvoller Kugelschreiber und
der benutzten ledernen Aktentaschen. Beinahe versteckt findet sich ein kleines Foto des
Kieler Kultusministeriums und an anderer Stelle auch der fotografische Hinweis auf dessen
berühmten Pater Noster. In der Mitte der Räume jeweils eine Vitrine mit einigen originalen
schwarzen Terminkalendern, die den Namenszug „DR. Wolfgang Meyer-Hesemann“ tragen,
und die auf diese Weise zu Statussymbolen wurden. Eine Videoinstallation präsentiert Fotos
dieser Kalender, wobei Meyer-Hesemann jedoch alle Eintragungen geschwärzt hat, wodurch
zwar keinerlei Dienstgeheimnisse preisgegeben werden, jedoch eine rhythmisierend-schöne
Abfolge schwarzer Felder entsteht. Mit anderen Worten: Die naheliegende politische
Korrektheit erzeugt eine sich verselbständige Bildabfolge, wodurch wohl niemand die
tatsächlichen Inhalt vermisst und der Blick auf einer übergeordneten Ebene verharrt, ohne
dass man sich in letztendlich belastenden Details verheddern muss
Dies gilt im Übrigen auch für die ausgestellten leeren administrativen Umlaufmappen mit
ihren verklausulierten Namensnennungen in Zahlenabfolgen auf einem alten, längst
ausgedienten, nostalgisch erscheinenden Aktenbock. Mithin ein nüchterner Blick auf die
Innenseite historisch gewordener ministerieller Verwaltung, wobei jedoch nicht das
Geschehen oder gar dessen Inhalt gezeigt werden, sondern vielmehr vereinzelte, eher
randständige Aspekte, die gleichwohl den Anspruch erheben, auf eine bestimmte, fast
archetypische Weise für das Ganze einzustehen.
Die Übergänge zwischen ausgewählten realen Objekten und den Fotos, die wiederum solche
Objekte dokumentieren, erscheinen fließend, wenngleich die medial ausdifferenzierte
Zusammenstellung ein geschlossen wirkendes Gesamtbild bedingt.
Dass Meyer-Hesemann eine überzeugende, weil zurückhaltend vorgetragene Auswahl
zwischen persönlichen Erinnerungsstücken wie den ihm geschenkten wertvollen
Kugelschreibern mit Namenszug, Utensilien seines seinem persönlichen bzw. amtlichen
Erscheinungsbildes in Form von Schuhen, Brillen und Aktentaschen, den notwenigen
Arbeitsgegenständen des ministeriellen Alltags und einem ironisch motivierten Blick auf
diese Zeit vermittels Geweihen und beinahe vertrockneten Büropflanzen bietet, eröffnet dem
Betrachter einen ebenso kritischen Zugang zu dem angeschlagenen Thema wie es ihn im
Gegenzug vor klischeehaften Verallgemeinerungen bewahrt.
Einmal mehr erweist sich die Fotografie in diesem Zusammenhang als das entscheidende
Missing Link. So besitzen die Fotos nicht nur eine gewisse Aggressivität, indem sie den
abgelichteten Gegenstand vergrößern oder verkleinern, sondern sie sorgen auch für eine
Demokratisierung innerhalb der Installation, indem sie den prinzipiell vorgetragenen
Anspruch erheben, dass alle Objekte gleich gewichtet werden und keines eine
herausgehobene Bedeutung besitzt. Zugleich erzeugen diese aber auch eine voyeuristische
Beziehung zu den vorgeführten Wirklichkeitsmomenten, die sich nun nicht mehr verändern
können und im Gegenzug auf ihrem Status quo beharren. Nachhaltig verweist die Fotografie
auf die Funktion der jeweiligen Objekte, und diese müssen in einem eigenen Akt in ihrer
jeweiligen Bedeutung respektive in ihrem Ablauf erläutert werden, wobei die Bilder
letztendlich weder einer ethischen noch einer politischen Erkenntnis Vorschub leisten. Somit
fällt ausschließlich dem Betrachter die Aufgabe einer sinnstiftenden Wertung zu. „Statt ganz
einfach die Wirklichkeit wiederzugeben“, so die amerikanische Essayistin und
Fototheoretikerin Susan Sontag, „ist das Foto zum Maßstab der Art und Weise geworden, in
der uns die Dinge erscheinen, und hat damit dem Begriff der Wirklichkeit als solchem – und
das heißt zugleich dem Realismus – einen neuen Inhalt gegeben.“
Auf Wolfgang Meyer-Hesemanns Installation und deren Bildbegrifflichkeit bezogen bedeutet
dies nicht nur eine nachhaltig wirkende Vereinheitlichung im Sinne eines geschlossenen
Bildcorpus, sondern eben auch die Implementierung von extremer Nähe wie einer inneren
Distanz gegenüber den angeschlagenen Bildinhalten. Dass sich dieser abrupte Wechsel in der
beschriebenen, anmaßend starken und zugleich abweisenden architektonischen Umgebung
ereignet, dass die Räumlichkeit im Grunde gegen die Installation arbeitet, lässt diese im
Gegenzug um so intensiver und geschlossener erscheinen und verhilft ihr im Inneren zu
rezeptivem Fluss. Meyer-Hesemann selbstverlässt die alles beherrschende Position des
Bildschöpfers und begibt sich nunmehr auf die Ebene des Rezipienten. Er arrangiert Objekte
seiner Arbeitsbiografie, und diese erheben den Anspruch, für das Ganze zu stehen, freilich
ohne es auch nur im Ansatz zu erklären oder gar zu bewerten. Da sind die äußeren Hüllen,
mitunter auch fetischartige Objekte, denen wir ausgeliefert werden. Die allmählich historisch
gewordenen Inhalte hingegen müssen wir von außen antragen. Deren Bewertung bleibt
unausgesprochen. Worum es indes an diesem Ort geht, ist die Art der Vermittlung nach außen
und innen. Aufmerksamkeit und kritische Wachheit gegenüber dem Politikauftritt ist
notwendig. Dabei wird aber auch deutlich, dass wir selbst diese Formeln abfordern, dass man
sich von den nüchternen Mechanismen der Macht ebenso beeindrucken lässt wie von deren
demokratisch verfasster Inszenierung. So lange dies im kontrollierbaren Rahmen der
Gewaltenteilung erfolgt, solange die beschriebenen Mechanismen von außen immer wieder
gebrochen werden, muss es uns nicht bange sein. Und steht die Instandsetzung des Bunkers D
mit seinen martialisch-historischen Warnungen, die Installierung von Fensterzonen, die
Nutzung eines Gebäudeteils für Kunstausstellungen wie für gastronomisch begleitete
Kommunikation oder aber die dauerhafte Installation von Kunstwerken nicht gerade auch für
die Überwindung einer gänzlich aus dem Ruder gelaufenen, furchtbaren Hierarchie. Dieser
Anspruch schafft neuerlichen, veränderten Raum, gerade auch für eine Installation, die auf
leisen Sohlen daher kommt und die dennoch nachhaltig wirkt, gerade weil sie sich jeglichem
Pathos verweigert, obgleich sie dessen feine Ziselierungen doch zu ihrem eigentlichen Thema
auserkoren hat.